Impfangebot von der Kompetenz-Agentur

Polit-Rhetorik ist ein steter Quell der Freude. Ein kleines Best of auf Basis der aktuellen Programme für die Bundestagswahl 2021

 

Corporate Wording kann grausam sein. Die Sprache der Politik aber ist in der Kunst der absichtsvollen Verschwurbelung noch weitaus, sagen wir, elaborierter unterwegs. Allein für die Wellenbrecher- und Brücken-Lockdowns, die Bundesnotbremse und den Impfnationalismus der vergangenen Monate hat die Deutsche Gesellschaft für Sprache eine eigene Wortschatz-Datenbank entwickelt.

 

Angesichts des Wahlkampfs besteht Hoffnung, dass auch der Sommer sprachliche Highlights hervorbringt. SPD und FDP haben ihre fertigen Wahlprogramme längst veröffentlicht. Die Grünen überarbeiten ihres nach dem Parteitag gerade, im Juli will auch die CDU liefern. Fürs Linken-Programm hat, demokratie-theoretisch natürlich fragwürdig, meine Ausdauer nicht mehr ausgereicht – und für die AfD meine Nerven. Was Rot, Grün und Gelb-Magenta bislang vorgelegt haben, heizt die Vorfreude jedenfalls schon einmal ordentlich an.

 

Im Sicherheitstempo durch die Mitte nach vorne

 

Fair wollen sie sein, die Grünen, uns alle „einladen“ und uns nach dem Impfangebot nun auch ein „inhaltliches Angebot“ unterbreiten. Auf dass nur niemand auf die Idee komme, die Parteigranden wollten uns Fleischkonsum oder Eigenheim-Erwerb verbieten. Dank Wortkreationen wie dem „Sicherheitstempo“ auf der Autobahn oder dem „Cannabiskontrollgesetz“ können Freie-Fahrt-für-freie-Bürger-Freaks und Drogengegner weiterschlafen: Ist zwar das Gleiche wie ein Tempo-Limit von 130 km/h und „Legalize it“, klingt aber deutlich konsensfähiger. Nur die FDP ist noch besser darin, ihren Anhängern jegliche Ängste vor zu viel Rechts- Links- oder Mövenpick-Lastigkeit zu nehmen. „Die richtige Richtung“ – das ist einzig und allein die „durch die Mitte nach vorne“. Von hinten durch die Lasche untenrum frei wäre ja auch wirklich zu verwirrend. Für alle mit „klarem Kompass“ jedenfalls.

SPD-Plakat Zukunft für alle

Zukunftspakt mit Zukunftsmissionen und Träumen, die Zukunft werden: Danke, SPD! (© SPD )


Obsessionen und Evergreens

 

Ganze 33 mal schreiben die Grünen in ihrem Wahlprogramm, dass sie irgendetwas „konsequent“ vorantreiben wollen. Was den Grünen ihre Konsequenz-Obsession, ist für die Babos von der SPD die Forderung nach (phettem?) „Respekt“ – gepaart mit ausgeprägtem Zukunfts-Fetischismus: Zukunftsfähig aufgestellt präsentieren sie ihr „Zukunftsprogramm“ mit ganz viel „Zukunft für alle“, „Zukunft für dich“ und vier „Zukunftsmissionen“, mit denen sie – na was wohl – „aus Träumen Zukunft machen“ wollen. Die großkoalitionäre Gegenwart wirkt da fast prähistorisch weit weg. Die eigentlich doch viel zukunfts-versesseneren Liberalen setzen lieber auf gelbe Evergreens: Hier wird immer noch die soziale Marktwirtschaft „entfesselt“, dass die Schwarte kracht, natürlich von den seit den 90ern nicht ausgestorbenen „Leistungsträgern.“

 

Auch mit Kicker und Obstkorb? Die Agenturen-Manie

 

Irgendwie irritierend für alle, die statt der Arbeitsagentur aka dem Arbeitsamt auch mal echte Agenturen von innen gesehen haben: Geht´s nach den Parteien in Ampelfarben, ist bald die gesamte Republik von Agenturen übersät. Voll modern und bestimmt wahnsinnig agil, ganz anders als die Ämter und Behörden, die heute in den gleichen Räumen residieren. Alle drei Parteien schwärmen für „Bildungsagenturen“, die Grünen hätten dazu gerne noch eine „Kompetenzagentur für Förderpolitik“ für die Kommunen. Aus der unsexy Kreditanstalt für Wiederaufbau wird in der glücklichen SPD-Zukunft(!) eine hippe „Innovations- und Investitionsagentur“ – und aus dem Asylbüro eine Asylagentur. Ob „Rückzuführende“ (ausnahmsweise kein Wahlprogramm-Zitat) dort vor Abschiebungen noch einmal an den Kicker dürfen?

 

Happy Wortschöpfungs-Bingo à la Dorfsparkasse

 

Was die Versicherungswirtschaft vorexerziert, kann fürs wehrlose Wahlvolk so falsch nicht sein. Hauptsache, mitten im Politprodukt findet sich die seit langem durch Originalität bestechende Binnen-Majuskel. Wie im „GarantiePlus-Betrag“ der Grünen für bedürftige Kinder, der „KinderZeit Plus“, mit der sie längere Elternzeit ermöglichen wollen oder ihrer schicken „PflegeZeit Plus“, die das Waschen der dementen Oma sicher in angenehme Wohlfühl-Atmosphäre taucht. Wer zuvor die schmerzstillende Wirkung des SPD-Medikaments „Elterngeld akut“ kennengelernt hat, braucht nur noch den „Eigentums“- oder zumindest den „Tilgungsturbo“ der FDP – dann kann auch der (Steuer-) „Tarif auf Rädern“ der Liberalen nicht mehr schrecken.

 

Mit der Engagementkarte vom Chancenkonto abheben

 

Überhaupt, diese Produktlogik aus der Finanzindustrie. Die Grünen wollen uns allerlei VIP-Kärtchen ins Portemonnaie stecken, von der „Engagementkarte“ für Ehrenamtler bis zur „Talentkarte“ für qualifizierte Einwanderer. Unklar bleibt, ob der/die geneigte Staatsbürger:in damit vom „Chancenkonto“ der Sozialdemokraten abheben darf oder grüne „Transformationszuschüsse“ auch aufs „persönliche Freiraumkonto“ der Liberalen überwiesen werden. Kommt wahrscheinlich darauf an, ob man den richtigen FDP-„Chancentarif“ gewählt hat. Oder eines der vielen „Garantie“-Produkte der Grünen – wie den „GarantiePlus-Betrag“ für benachteiligte Kinder und die  „Garantiesicherung“, die selbstverständlich keinerlei Ähnlichkeit mit dem alten „Hartz4“ besitzt.

Broschüre FDP

2015 erfunden, noch immer aktuell bei der FDP: Nix mit German Hasenfüßigkeit (© FDP)

 

Modellprojekte im Reallabor-Sandkasten

 

Labore, so scheint es, sind der letzte Schrei im Politbusiness. In „Reallaboren“ wollen die Grünen allerlei soziale Innovationen erproben, in „Gesetzgebungslaboren“ fancy neue Vorschriften. Was die FDP, Partei des „German Muts“, natürlich nicht auf sich sitzen lässt und sogleich mit „regulatory sandboxes“ kontert – regulatorischen Erprobungszonen, die dank Förmchen und Schäufelchen folgenschwere Laborunfälle sicher unmöglich machen. Wer da mangels Jurastudium nicht mitspielen darf, kann vielleicht in den liberalen „FabLabs“, einer Art offener Werkstätten, seine Leistungsträger-Kräfte entfesseln.  Nur die alte Dame SPD hat mal wieder alles verpennt – bei Olaf und den Seinen heißt sowas immer noch altmodisch „Modellprojekt“.

 

One-Stop-Shop beim Offensiven-Pakt

 

Als Partei des Respekts ist die SPD ohnehin die einzige Formation, die selbigen Polit-Klassikern wie dem guten alten „Pakt“ noch in ausreichendem Maß entgegenbringt. Im SPD-Programm findet er sich mannigfachen Varianten – vom „Digitalpakt“ bis zum „Wachstums-„, „Nachhaltigkeits-„, „Sozial-“ und natürlich dem „Zukunftspakt“. Gut, die FDP hat auch einen im Angebot – den „Entfessungspakt“, wie könnte es auch anders sein, Immerhin ist die „Offensive“ bei allen drei Parteien ähnlich beliebt: Die Grünen wollen sie als „Investitions-Offensive“, die Roten als „Modernisierungs-Offensive für den Öffentlichen Dienst“, die Gelben als „Zahlungsmoral-Offensive der öffentlichen Hand“. Flankiert von diversen „zentralen Plattformen“, „Schul-“ und „Barriere-Freiheitsgesetzen“ landet das Wahlvolk so beglückt in einem der „One-Stop-Shops“, die SPD und FDP so preisen – sicher einer Agentur, in der man dann offensiv ElternGeld Forte 5000 beantragen darf.

 

Der German Dream vom Ansprechpartner 5.0

 

Das Leben fühlt sich viel leichter an, wenn die Kümmerer von der „Nationalen Leitstelle Mobilität“ der SPD die doofen Eingliederungsvereinbarungen endlich in „Teilhabevereinbarungen“ umbenennen. Weil´s aber immer noch die SPD bleibt, muss das „Gemeindehaus 2.0“ dafür ausreichen, während die Streber von der FDP mit ihrer „Strategie Allgemeine Ansprechpartner 5.0“ schon wieder ein paar Nummern vorgeprescht sind. Als entfesselte Weltbürgerpartei, darauf ist seit Lindner Verlass, gerne auf Englisch. Zusammengebastelt wahrscheinlich in den „MakerSpaces“ getauften Kreativzonen an Schulen, finanziert mittels „Midlife-Bafög“, das der gleichnamigen Krise sofort mehr Smoothness verleiht.

 

Bekomme auch ich dann einen „German Dream-Zuschuss“, den die Liberalen besonders förderungs-bedürftigen Schüler:innen in Aussicht stellen? Sonst, bitte, zumindest ein Gläschen. Die Schaumweinsteuer nämlich, die will die Partei der Freiheit nicht umtaufen, nein, auch nicht „canceln“ – sondern schlicht abschaffen. Yamas!

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