Congrats, Hans-Günther!

Natürlich, wer sich nicht professionell auf LinkedIn positioniert, existiert quasi nicht mehr. Aber muss das immer nach den gleichen, vorhersagbaren Mustern laufen? Eine Typologie.

 

Der mutige Thesen-Held

Ein Paradigmen-Wechsel muss her! Ein Bruch mit der Welt von gestern, für die Elektromobiltät / Arbeitswelt / Gesundheitsversorgung „von Morgen“! Der Thesen-Held stellt völlig unbekannte Einsichten zur Diskussion, denen wundersamerweise 98,5 Prozent seiner Follower (siehe das schlaue Groupie) zustimmen. Irgendwas hat ihn/sie „nachdenklich gemacht“, weshalb wir „weiterdenken“ müssen, um den „Wandel mitzugestalten“. So oder so ähnlich stand das zwar schon in dröllfzig Posts all der anderen Thesen-Helden. Aber es ist halt einfach zu verführerisch, sich mit absoluten Mainstream-Einsichten als moderner Leader zu gerieren. Wahre Könner hängen selbstverständlich noch ein „wie erlebt Ihr das?“ an ihren Post an, auf dass sich ein endloser Thread an Co-Referaten ergebe.

 

Das stolze Sekten-Mitglied

Stets „on brand“, postet der Corporate Influencer in Reinkultur nicht nur jede Neu-Eröffnung/Verbesserung der Quartalszahlen/virtuelle Geburtstagsparty des Buchhaltungs-Teams, Nein, er/sie/es hält sich dabei auch diszipliniert ans Corporate Design des Unternehmens. Weniger Gebenedeiten würde dieser völlig authentische Blick in ein Paradies voller glücklicher, agiler Menschen Tränen des Neids in die Augen treiben. Gäbe es da nicht die vielen Accounts von Mitarbeitern anderer Super-Unternehmen, die uns mit quasi Wort- und Bildgleichen Heilsbotschaften beglücken. Nur eben in Magenta oder Orangetönen, aber immer „proud of my colleagues“ und voll inspiriert von „spannenden Impulsen“!

 

Das schlaue Groupie

Keine eigene Idee, was man so ins Netz stellen könnte? Die schlauen Groupies, gerne im gleichen Unternehmen wie ein – Thesenheld beschäftigt, positionieren sich bevorzugt über taktisches Lob in den Drukos. Hans-Günther bekommt seine „Congrats“ zur gedankenschweren Reflektion übers richtige Abteilungsleiter-Mindset, Jenny, die so enthusiasmiert für die Digitalisierung empowered, ein tiefgründiges „sehr interessant!“. Bei zu viel Zeit im Home office holt das Groupie gerne auch zum Co-Referat aus oder investiert gönnerhaft in ein bisschen Mansplaining für Jenny. Potenzielle Dienstleister oder Konkurrenten verknüpfen dazu noch den Link zum eigenen Webangebot – weil wir ja alle „in den Dialog gehen“ wollen.

 

Die (verirrten) Missionare

Nur Langweiler und Schlafschafe beharren darauf, dass LinkedIn doch eigentlich mal als Business-Plattform gestartet sei. Finden zumindest die Missionare, sofern sie nicht mausgerutscht sind und eigentlich doch ihre Facebook- oder Telegram-Gemeinde beglücken wollten. Warum nicht die Entscheider der Welt mit der Info wachrütteln, dass Maskentragen in Schulen die Vorstufe zum Weltuntergang darstellt? Dass die Gender-Diktatur uns chinesische Verhältnisse beschert, der Widerstand gegen LGBTQ/Klimaschutz/Black lives matter-Fanatiker jetzt erste Bürgerpflicht ist? Verweist man freundlich auf andere Plattformen, wittern Gudrun und Kai-Uwe Cancel Culture. Jeder wir er kann – sollen doch ruhig auch der Chef und die Headhunter sehen, dass die Supply-Chain-Managerin EMEA die deutsche Regierung für eine Verbrecherbande hält.

 

Der Ferngesteuerte

Ist schon praktisch, wenn die CEO-Positionierung auf LinkedIn so fleißig von der begabten, 26-Jährigen Digital-Strategy-Advisorin aus der Agentur vorangetrieben wird. Nach einer Benchmark-Analyse natürlich, die ergeben hat, dass der Boss-Account sich mindestens an Volkswagen-CEO Herbert Diess, besser aber am Virgin-Gründer Richard Branson zu orientieren hat. Postet Diess also seinen E-Bike-Test im Wald oder Branson seine Zusammentreffen mit allerlei Showbiz-Prominenz, müssen Thomas/Michael/Martin dringend entsprechend nachziehen. Kann super-professionell und authentisch wirken. Es sei denn, die Digital Strategen oder die Chefs höchstselbst schalten auf die kräfteschonende Groupie-Taktik um, sobald Kommentare kommen. Kriegt Nadine nur ein mattes „danke für deinen Beitrag“ auf ihre kenntnisreiche Nachfrage zum Thema und der kritische Ingo überhaupt keine Antwort, sieht das Ganze plötzlich wieder furchtbar alt aus. So wie damals halt, in der Vorstandspostille namens Mitarbeiterzeitung. Congrats, Hans-Günther!

 

 

Und jetzt alle: wie erlebt Ihr das? 😉

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